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musikalische Traditionen

Als Musikantin in der Corona-Zeit

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Dieser Artikel über das musikalische Leben während der ersten Einschränkungen in der Corona-Zeit ist zuerst erschienen in: Fränkische Volksmusik Blätter 44 (Eibelstadt 2020), Heft 173, 9-11.

Seit dem 21. März 2020 besteht in Bayern eine Ausgangsbeschränkung und weitere Verfügungen, die sich selbstverständlich auch drastisch auf das künstlerische Leben auswirken, sowohl für Hobby-Musizierende als auch für Berufs-Musikant*innen. Die Kreativität der Menschen erschließt sich jedoch auf jede Einschränkung umgehend neue Möglichkeiten. Hier einige Schlaglichter auf den von mir wahrgenommenen Umgang mit der Krise aus letzten Wochen.

Balkon-Musik

Trompete beim Balkon-Konzert während der Corona-Zeit

Eine der bekanntesten Musik-Aktionen der letzten Wochen hat sich von Italien kommend ausgebreitet: Balkon-Musik. In Deutschland wurde bereits am 22. März zum Spielen von „Ode an die Freude“ Beethovens als „Europa-Hymne“ am Samstag abend um 18h aufgerufen. Viele haben sich daran beteiligt und auch erste Corona-Kontakte zur Nachbarschaft aufgenommen, um das gemeinsam durchzuführen.1

Die Einigkeit zu Beginn hat sich während der weiteren Wochen in ein eher unkoordiniertes Agieren aufgesplittet. Seither gibt es die Aktivität in unterschiedlicher Intensität: Ich weiß von Innenhof-Konzerten größerer Nachbarschaften mit ausgearbeitetem Programm und von regelmäßigen Solo-Konzerten mit großem Zuspruch. Andere haben sich das abendliche Musizieren zur sogar regelmäßigen Aufgabe gemacht: In Hofstetten am Main spielen Hans und Lissy Heilgenthal täglich in den Abendstunden ein paar Melodien zum Fenster hinaus.

Mein erstes eigenes Balkon-Konzert habe ich in Spanien gegeben. Dort, wo schon zwei Wochen vor Deutschland ein striktes Ausgangsverbot verordnet war, traf sich die Nachbarschaft jeden Abend um 18h zum Beifall-Klatschen für die Beschäftigten im Gesundheitsdienst auf den Balkonen und an den Fenstern. Der Platz, an dem ich wohnte, beherbergt passenderweise auch ein Gesundheits-Zentrum, aus dem die dort Tätigen jeweils vor die Tür traten, winkten und sich feiern ließen. Beim ersten Mal ist mir eine Gänsehaut über den Rücken gelaufen: Ich fand es unglaublich verbindend und ergreifend, in dieser schwierigen Zeit die Gemeinsamkeit auf diese Weise auszudrücken. Nach der Klatscherei haben abwechselnd auf einem der Balkon die Nachbarn für alle laute Musik angestellt, ein wenig getanzt und den Feierabend eingeläutet. Ein schönes Ritual, das den gleichförmigen Tagen Struktur verlieh.

Eines Abends habe ich mich nach dem Klatschen einfach mit dem Akkordeon hinausgestellt und ein paar Stücke gespielt. Rund um den Platz wurde geschunkelt, gewunken und „Otra!“ gerufen, „noch eins!“ Das war ein tolles Konzertchen für mich. Leider haben sich in den folgenden Tagen keine weiteren Musikanten oder Musikantinnen gefunden, die es mir gleich getan hätten.

Zurück in Nürnberg habe ich dieses Zusammenfinden der Nachbarschaft vermisst. Auch mein sonntägliches Musizieren trifft auf keine große Resonanz. Nur hin und wieder schaut jemand von einem anderen Balkon herüber und klatscht, ab und zu gibt es Passant*innen, die winken. Eine Nachbarin ist sogar demonstrativ in die Wohnung verschwunden, offenbar fühlte sie sich gestört. Immerhin ist ein Kontakt mit einer weiteren Akkordeonistin im Haus zustandegekommen. Der Versuch zu gemeinsamem Balkon-übergreifenden Musizieren war allerdings nicht von Erfolg gekrönt, denn hören können wir uns während des gleichzeitigen Spielens gegenseitig überhaupt nicht. Die Beiträge können also nur abwechselnd stattfinden.

Internet und Social Media

Fast der ganze Rest der Betätigungen läuft momentan übers Internet. Wohl dem, der sich hier beizeiten gut aufgestellt hat und vernetzt ist.

Viele Instrumental-Lehrer*innen versuchen sich momentan mit Online-Unterricht, was je nach Instrument mehr oder weniger gut zu funktionieren scheint. Proben und Zusammenspielen oder -singen per Internet gelingt wegen des zeitlichen Versatzes allerdings offenbar nicht.

Stattdessen nutzen viele die vorhandenen Plattformen für Coachings und Kurse, aber auch allerhand andere Formate werden ausprobiert. Z.B. Zusammenschnitte der von Einzelnen produzierten Videos zu einem Ganzen.2 Auch durch Live-Konzerte mit und ohne Bezahlschranke versucht man den Kontakt zum Publikum nicht ganz abreißen zu lassen. All das ist nichts wirklich Neues, aber es versuchen sich doch deutlich mehr Nutzer*innen daran. Meine eigenen Versuche finden sich auf meinem Youtube-Kanal.

Steffis Zachmusik auf Youtube

Auf Facebook teilen beruflich Kunstschaffende außerdem momentan Tipps zum Umgang mit Steuer, Versicherung u.ä. Es gibt Austausch über staatliche Hilfen – bzw. deren Mangel. Ein Kollege hat zum Beispiel zum Kultur-Streik aufgerufen wegen der als unzureichend empfundenen Förderung der Kultur-Schaffenden durch die Behörden. Andere teilen Petitionen und offene Briefe. Hier ändert sich täglich die Lage und ständig ergeben sich neue Möglichkeiten und Fallstricke.

Challenges

„Schick mir Noten“, hat mich eine Musik-Freundin kürzlich aufgefordert, „ich brauche eine Aufgabe!“ Ohne Ziele fehlt die Motivation fürs Üben und einsame Musizieren daheim. Das ist vielleicht auch der Grund, warum im Internet, namentlich auf Facebook, diverse „Challenges“ ausgerufen wurden. „Challenge“ steht englisch für „Herausforderung“, und das funktioniert so: Eine Person stellt ein Video ein, in dem sie z.B. einen Zwiefachen spielt. Gleichzeitig ruft sie speziell eine oder mehrere andere Personen/Musikgruppen auf, das gleiche zu tun. Wenn diese die Herausforderung annehmen, dürfen sie ihrerseits jemand nominieren usw. Mir sind in meinem Freundeskreis z.B. eben eine Zwiefachen-Challenge, eine Harmonika-Challenge, die “Wir bleim dahoam“-Challenge von Blaskapellen und eine eher ironisch gemeinte „Machtswasihrwollts“-Challenge begegnet.

So etwas muss sich nicht aufs Internet beschränken, und deshalb möchte ich hier eine „Corona-Kärwaliedla“-Challenge ausrufen und alle Leserinnen und Leser dazu nominieren. Gerade diese Liedgattung eignet sich ja perfekt für die Kommentierung aktueller Geschehnisse. Schicken Sie an mich Ihre selbstgedichteten Vierzeiler zum Thema Corona-Zeit (zu den traditionellen Melodien), gerne einfach nur den Text. Ich werde sie dann hier auf meinem Blog veröffentlichen – zum freien Nachsingen. Die besten werden außerdem in den nächsten Volksmusikblättern abgedruckt und fürs Internet vertont.

Kultur vor dem Fenster

Katja Lachmann und Steffi Zachmeier spielen vor den Fenstern

Das Wichtigste für Musiker*innen und andere Künstler*innen jedoch fehlt bei alldem: Der direkte Kontakt zum Publikum und – nicht zu vergessen – die Verdienstmöglichkeiten. Eine kreative Lösung für sich und die Kolleg*innen haben der Fürther Feuershow-Künstler Marc Vogel zusammen mit der Musikerin Katja Lachmann und mit Unterstützung des Fürther Kulturreferats entwickelt. Nach Abklärung mit den zuständigen Fürther Behörden steht ihr Projekt nun unter www.kultur-vor-dem-fenster.de im Internet. Hier können Künstler*innen aller Art in diesen veranstaltungslosen Zeiten nun ihre Dienste anbieten und für Kurzweil auf Privatgrund sorgen – selbstverständlich unter Einhaltung aller gesundheitspolitischen Auflagen und Abstandsregeln.

Einige solcher künstlerischen Dienstleistungen in Hinterhöfen konnten am Osterwochenende bereits „ausgeliefert“ werden. Ich selbst durfte an einer Stunde mit fränkischer Musik und anderer Folklore mitwirken. Sowohl die Bewohner*innen als auch die Pflegekräfte an den Fenstern und Balkonen eines Fürther Seniorenheims begrüßten diese Abwechslung vom Alltag.

Wer sich also nicht nur digital vermittelte Musik im Radio oder im Internet anhören möchte, kann davon gerne Gebrauch machen und für sich (und die Nachbarn) Solisten oder kleine Gruppen für ein Konzert oder ein Mitsing-Event vor dem Fenster buchen. Das gilt für Privatleute und Einrichtungen aller Art – vorerst nur in Fürth und Landshut. Mit anderen Städten und Landkreisen sind die Macher im Gespräch.

Aber Achtung! Nur, wer berufsmäßig seine Kunst ausübt, kann sich an diesem Projekt beteiligen. Für alle anderen gelten – jedenfalls im Augenblick – die Einschränkungen der Behörden. Das Ständchen eines Musikvereins ist jedenfalls kein triftiger Grund für den Aufenthalt außer Haus, sondern verstößt sogar „gegen das Kontaktverbot und das Abstandsgebot“ wie ein Musikverein in Baden-Württemberg gerade erfahren musste.3

Inwieweit die Aktion „Marching Coronaband“ eines in Nürnberg und Fürth aktiven Duos rechtlich abgedeckt ist, wage ich nicht zu beurteilen. Seit etlichen Tagen ziehen die zwei Musiker mit Posaune und Sousaphon durch die Straßen, eine nette Aufmunterung für alle.4

  1. Philipp Heilgenthal: „Musizieren unter besonderen Umständen“, Mainpost, 23.03.2020; Elke Walter: „Nachbarschaftsmusik in strahlender Abendsonne“, Fränkische Landeszeitung, 23.03.2020 []
  2. Z.B. das sogar ganz prominent in der Tagesschau präsentierte Video des Ballett der Pariser National-Oper []
  3. Florian Ganswind: „Hat Musikverein gegen Corona-Verordnung verstoßen?“, Schwarzwälder Bote, 23.04.2020 []
  4. Isabella Fischer: „Blasmusik auf Abstand: In Krisenzeiten musiziert die ‚Marching Coronaband‘ in Nürnbergs Straßen für gute Laune“, Nürnberger Nachrichten, 24.04.2020, S. 25. []

Autor: Steffi Zachmeier

Die Nürnbergerin Steffi Zachmeier ist mit den fränkischen Melodien aufgewachsen und seit ihrer Kindheit auf Bühnen zu finden. Mit ihren verschiedenen Musikgruppen setzt sie auf einen unkomplizierten und dennoch stilsicheren Umgang mit fränkischen Traditionen. Die Mitherausgeberin von Notenmaterial und Liederbüchern war über 30 Jahre in den Volksmusiksendungen des Bayerischen Rundfunks als Moderatorin zu hören, mit ihren Texten in Nürnberger Mundart bekommt manche Veranstaltung eine eigene Würze. Von der Bayerischen Musikakademie in Hammelburg wurde Steffi Zachmeier beim Fränkischen Liedermacher-Wettbewerb ausgezeichnet, vom Frankenbund im Jahr 2009 mit dem jährlich vergebenen Kulturpreis und 2016 mit dem Frankenwürfel der drei fränkischen Bezirke.

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