zachmusik

musikalische Traditionen

Titelblatt einer Notenausgabe: Lach-Polka von Otto Seifert. Mit der Zeichnung eines Harmonikaspielers

Die Lach-Polka

| 1 Kommentar

Oskar Seifert als Komponist der Lach-Polka

Dieser Tage ist mir beim Durchblättern eines alten Notenbüchleins1 die Lach-Polka aufgefallen. Als Komponist steht in dem Büchlein zu lesen: O. Seifert.

Ich kenne das Stück – auch als Lach-Schottisch – von verschiedenen Musikgruppen gespielt, hier z.B. vom Niederbayerischen Musikantenstammtisch. Charakteristisch ist, dass die Melodie der ersten zwei Takte im dritten Teil laut gelacht wird.

Meine Neugier war geweckt. Offenbar war dies einer dieser Fälle, die in den letzten Jahren häufig vorgekommen sind: Vermeintlich “echte” “alte” Volksmusikstücke, die aus nicht näher bezeichneter “mündlicher Überlieferung” stammten, konnten Komponisten zugeordnet werden. Sie wurden in älteren Drucken wiedergefunden und damit der Mythos entzaubert.

Das genannte Büchlein liegt mir in verschieden alten Ausgaben vor. In vielen Notennachlässen, die mir in den letzten Jahren angeboten wurden, war es vorhanden, es scheint weit verbreitet gewesen zu sein. Und es gab Ausgaben sowohl für das chromatische Akkordeon als auch für die diatonische Harmonika. Aktuell ist neu nur noch ein zweiter Band bestellbar.2 Den ersten und einen dritten Band gibt es nur noch antiquarisch.

Verlegt ist das Buch beim Apollo-Verlag Paul Lincke. Mit ihm ist Oskar Seifert direkt verbunden, wie aus der Bestandsübersicht des Sächsischen Staatsarchivs Dresden hervorgeht:

"Der Apollo-Verlag Paul Lincke wurde 1901 in Berlin gegründet. Er verlegte v. a. Tanz- und Unterhaltungsmusik sowie Operetten seines Gründers, des Komponisten Paul Lincke. Der Musikverlag Oskar Seifert entstand 1909 in Eppendorf/Sachsen als Spezialverlag für Volksmusik, Akkordeon- und Bandoneon-Literatur. 1939 erwarb das Unternehmen Oskar Seifert & Söhne in Leipzig den Apollo-Verlag. 1947 firmierte das Unternehmen als Apollo-Verlag Paul Lincke, Inhaber: Erich Seifert Bühnen- & Musikverlag, Leipzig. Beide Firmen wurden 1951 unter Treuhandverwaltung gestellt und 1953 im Handelsregister gelöscht."3

Oskar Seifert hat die Lach-Polka nicht erst in dem Sammelband des Apollo-Verlags herausgegeben, sondern bereits vorher im eigenen Verlag. Ich fand die Ausgabe als Nr. 39 von Seifert`s Handharmonika Ausgaben auf einer Antiquariats-Plattform. Leider ist kein Herausgabe-Zeitpunkt angegeben.


Auf Anhieb fand ich keine weiteren Informationen zur Person Oskar Seifert, war jedoch erstmal mit der Quellenlage zufrieden – bis ich auf Youtube diese Lach-Polka fand:

Weiterer möglicher Komponist: Paul Woitschach

Zwar gibt es auf Youtube auch andere Musikstücke mit dem Titel “Lach-Polka”, hier handelt es sich aber definitiv um das selbe Stück. Allerdings ist da nun als Komponist Paul Woitschach, der Chef des Orchesters, genannt. Über ihn fand ich Infos beim HEBU Musikverlag:

"Geburtsdatum: 06.02.1908 Sterbedatum: 25.02.1981 
Woitschach Paul 
*Berlin, 6. Februar 1908, +Berlin, 1981. Nach dem Studium der Musik am Stern'schen Konservatorium in Berlin, 1925 bis 1928, wirkte Woitschach als Theaterkapellmeister in Berlin. 1939, nach dem Tod seines Vaters, Carl Woitschach (*Posen, 29. Februar 1864, +Berlin, 24. Mai 1939; Komponist der Märsche "In Reih' und Glied", 1925, und "Frohe Jugend", 1926) übernahm er dessen populäres Blasorchester. Paul Woitschach gründete 1955 in Berlin einen Musikverlag, in dem er vor allem volkstümliche Unterhaltungsmusik (auch eigener Komposition) veröffentlichte.4

Beim genannten HEBU-Verlag ist auch eine Notenausgabe der “Lach-Polka” für Salonorchester von Paul Woitschach erhältlich.


Der Hinweis auf diesen anderen Komponisten warf nun meine Annahmen wieder völlig über den Haufen und als ich dann noch bei der Forschungsstelle für fränkische Volksmusik5 eine Schellackplatten-Aufnahme unter dem Titel Nürnberger Lachpolka fand,6 die auf 1908 datiert ist, stand ich entgültig wieder so da wie am Anfang.


Für eine Komposition von Woitschach, der ja in diesem Jahr erst geboren wurde, ist das definitiv zu früh. Seifert wiederum hat seinen Verlag erst ein Jahr später gegründet, es ist wohl nicht davon auszugehen, dass seine Noten so schnell Verbreitung bis nach Nürnberg gefunden haben. Damit ist das Musikstück nun also wohl doch Volksmusik in dem Sinne, dass kein Komponist bekannt ist. Und Musikant:innen können das Stück auch guten Gewissens als “DP” (Domaine public), d.h. gemeinfrei, also auch ohne GEMA-Abgabe spielen. Die Noten dazu finden sich zum Download auf den Seiten des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege und für kleine Blasmusik-Besetzung bzw. großes Blasorchester beim Bezirk Niederbayern.


Update 14.12.2023: Download-Links vom Bezirk Niederbayern ergänzt (Danke für den Hinweis an Roland Pongratz)

  1. O. Seifert et.al. o.J., Bunte Musik. Eine Auswahl Lieder, Tänze, Märsche und Unterhaltungsstücke für Akkordeon. Band 1. Berlin: Apollo-Verlag Paul Lincke []
  2. z.B. https://www.alle-noten.de/Kuenstler/Oskar-Seifert/Bunte-Musik-Band-2.html, zuletzt aufgerufen 02.12.2023 []
  3. https://archiv.sachsen.de/archiv/bestand.jsp?oid=09.22&bestandid=21067&_ptabs=%7B%22%23tab-geschichte%22%3A1%7D#tab-geschichte, zuletzt aufgerufen 02.12.2023 []
  4. https://www.hebu-music.com/de/musiker/paul-woitschach.23662/, zuletzt aufgerufen 02.12.2023 []
  5. legamus – Die Volksmusikdatenbank online (Schellackplatten): https://volksmusik-forschung.de/legamus/audio.html?id=80904, zuletzt aufgerufen 02.12.2023 []
  6. Label: Beka : 12583, Matrize: 12583, Etikett: “Beka-Grand-Record : Nürnberger Lachpolka : Bayrisches Infanterie-Regiment No. 14: Kgl. Obermusikmeister Burow: Nürnberg: No. 12583 []

Autor: Steffi Zachmeier

Die Nürnbergerin Steffi Zachmeier ist mit den fränkischen Melodien aufgewachsen und seit ihrer Kindheit auf Bühnen zu finden. Mit ihren verschiedenen Musikgruppen setzt sie auf einen unkomplizierten und dennoch stilsicheren Umgang mit fränkischen Traditionen. Die Mitherausgeberin von Notenmaterial und Liederbüchern war über 30 Jahre in den Volksmusiksendungen des Bayerischen Rundfunks als Moderatorin zu hören, mit ihren Texten in Nürnberger Mundart bekommt manche Veranstaltung eine eigene Würze. Von der Bayerischen Musikakademie in Hammelburg wurde Steffi Zachmeier beim Fränkischen Liedermacher-Wettbewerb ausgezeichnet, vom Frankenbund im Jahr 2009 mit dem jährlich vergebenen Kulturpreis und 2016 mit dem Frankenwürfel der drei fränkischen Bezirke.

Ein Kommentar

  1. Liebe Steffi, wow, sehr interessant! Vielen lieben Dank für Deine Recherche. LG Simone

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