Dieser Text ist erschienen im Programmheft Tanz&FolkFest Rudolstadt des Jahres 2002,1 als die Mazurka der "Tanz des Jahres" war. Ich habe das damals als Vortrag gehalten, einen Workshop angeschlossen und mit Wirtshausmusik im Tanzzelt aufgespielt.2

Mazurka – der Name dieses Tanzes steht nicht nur für den Autor James A. Michener für polnische Kultur schlechthin, nennt er doch seinen polnische Geschichte aufarbeitenden Roman nach ihm,3 sondern wird allgemein mit diesem Land in Verbindung gebracht. Ja, die Mazurka wird sogar als der polnische Nationaltanz schlechthin bezeichnet. Die genaueren Umstände der Entstehung des Tanzes, seine genaue Herkunft liegt jedoch trotz dieser Bedeutung im Dunkeln.
Gesichert zu sein scheint lediglich die pure Tatsache des Ursprungs der Mazurka in Polen und eine Entwicklung aus verschiedenen Tänzen der Landstriche Masowien und Kujawien. ‘Mazur’, ‘Kujawiak’ und ‘Oberek’ sollen seine Ahnen sein, und sowohl aus Volkstanzformen als auch aus daraus im höfischen Tanz stilisierten Formen soll sie sich entwickelt haben.4
Im weiteren Sinn steht der Terminus ‘Mazurka’ ganz allgemein „für Lied- und Tanzweisen …, denen ein charakteristischer Rhythmus … im dreizeitigen Metrum, zugrunde liegt.“5
Kleine Geschichte der Mazurka
Erstmals außerhalb Polens bei Hof modern wurde das Mazur-Tanzen als Teil einer allgemeinen Polen-Begeisterung unter August III. (1733-1763) in Dresden, nachdem bereits sein Vater August II. den ‘polnischen Geschmack’ gepflegt hatte.6 Dies verwundert nicht, war er doch, wie sein Sohn, als Kurfürst von Sachsen gleichzeitig König von Polen. Die ursprüngliche Solotanzform, die von dort aus in die Welt ging, wandelte sich in den nächsten Jahren allerdings gravierend. In den frühen Beschreibungen tanzen die Paare entweder zeitlich nacheinander ihre jeweils eigene Ausführung oder aber ein vortanzendes Paar wird im folgenden von den mittanzenden Paaren nachgeahmt. „Aus Elementen des polnischen Nationaltanzes Mazur wurde … der Gesellschaftstanz Mazurka, der bald alle europäischen Ballsäle eroberte.“7
Ihre eigentlich große Zeit als Gesellschaftstanz hatte die Mazurka erst etwa hundert Jahre später im sich emanzipierenden Bürgertum Europas. Dort ist die Mazurka schließlich ein der sonstigen Kontretanz- und Cotillonmanier angepasster Tanz, der entweder in Karréeform zu vier Paaren oder in Cotillonform mit einer unterschiedlichen Anzahl von Paaren getanzt wird. Lediglich einige Schritte und Figuren und die Melodien deuten noch auf seine Herkunft hin.
Wo der Funke schließlich zündet, kann wohl heute nicht mehr nachvollzogen werden, doch in den 1820er Jahren verbreitet sich die Kunde von diesem rassigen neuen Tanz wie ein Lauffeuer in Europa und der ganzen ‘westlichen’ Welt. Dazu trug sicher auch die Sympathie für die nationale Freiheitsbestrebung in Polen und die Exilanten – unter anderen Chopin – in Frankreich und Deutschland bei.

Aus London berichtet Fürst Pückler 1827: „Auf dem Ball, dem ich abends beiwohnte, bei der neulich erwähnten Marquise L… sah ich zum erstenmal hier Polonaisen und auch Masurka tanzen, aber sehr schlecht.“8 Und auch in Russland sei der Tanz so beliebt, dass er bis zu zwei Stunden dauern könne, vermeldet ein Reisender im Jahr 1828.9 In Schweden taucht die Mazurka als Gesellschaftstanz in den 40er Jahren des 19. Jhds. auf.10 Dort scheinen polnische Tänze laut Jan Steszewski allerdings schon sehr viel früher heimisch geworden zu sein:
„Spätestens seit Ende des 16. Jh. fanden die polnischen Tänze Eingang in die schwedische Musik, wo sie als zahlreiche polska, polskor u.a. in der schwedischen Volkstradition weiterleben; ihre Ähnlichkeit mit der polnischen Mazurkarhythmik ist unverkennbar.“11
Selbst in den afrikanischen Kolonien macht sich die Mazurka breit. Und auch auf Polen selbst wirkt die europäische Mode zurück, so dass auch dort die Mazurka nun als Quadrilleform getanzt wird.
Natürlich hat sich, wie die anderen Modetänze, auch die Mazurka nicht der Tendenz aus dem bürgerlichen Ball-Repertoire ins Volkstanz-Repertoire entziehen können. In den östlichen Teilen Deutschlands sei die Mazurka im Volk unter dem Namen „Polnisch“ sogar längst vor der um 1840 aufkommenden zweiten Modewelle getanzt worden, berichtet Richard Voß.12 Auch der österreichische Tanzforscher Karl Horak stellt fest, dass polnische Tänze
„in den Volkstanz … vereinzelt … gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein(drangen). Als um das Jahr 1840 die Mazurka in vereinfachter Form – als Polka-Mazurka oder Varsovienne – im Gesellschaftstanz weite Verbreitung gefunden hatte, ist ein stärkeres Absinken in das Volk festzustellen. In den Tanzheften alpenländischer Musikanten tauchen Mazurkaweisen gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf.“13
Von Norwegen wird berichtet, dass Paartänze wie Polka und Mazurka die ältere Musik geradezu verdrängt habe. Ebenfalls in Litauen „verbreiteten sich … fremde Tänze wie … Mazurka“ und auch in der Bretagne gilt die Mazurka noch heute als danse récente, also als neuerer Tanz. Ebenso gehört die Mazurka in Korsika offenbar zum Tanzmusik-Repertoire. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Mazurka-Tanzformen als Volkstanz in ganz Europa und darüber hinaus durch die europäischen Einflüsse in Amerika und Afrika verbreitet waren und noch sind.14
Im Repertoire von Volkstanzgruppen und bei Tanzveranstaltungen der Folkszene haben die verschiedenen Mazurka-Formen und ihre Varianten ihren festen Platz. Außerhalb der Volkstanz-Szene wird die Mazurka zumindest im deutschsprachigen Raum aber wohl nirgends mehr getanzt.
Schritte und Figuren der Mazurka und verwandter Tanzformen
Schon in den von Tanzmeistern verfassten Lehrbüchern sind unterschiedlichste Schritte und Figuren der Mazurka zu finden. Im Jahrhundert zwischen ihrer ersten weitläufigen Verbreitung in der feinen Gesellschaft und den 1930/40er Jahren – aus diesem Jahrzehnt stammen die häufigsten volkskundlichen Aufzeichnungen – gelangt die Mazurka und ihre Abkömmlinge zu einer erstaunlichen Formfülle. Polka-Mazurka-Formen, Warschauer- und Tyrolienne-Formen in allen nur erdenklichen Variationen sind aus ganz Europa bekannt. Über ihre Entstehung weiß man allerdings kaum etwas.

Der heute bekannte Mazurka-Schritt hat sich offenbar aus einer einzelnen Figur heraus entwickelt, einem Herumschwenken der Tänzerin nach jeder Tour, der ‘tour sur place’, eine der wichtigsten Figuren, da sie oft am Anfang und/oder Ende einzelner Touren getanzt wurde. Sie wurde auch ‘holubiec’ oder ‘tour boiteux’ genannt. Dabei wurde der ‘pas boiteux’, also ‘Hinkschritt’ verwendet. 1843 wird er so beschrieben:
„Mit der rechten Ferse wird an die linke Ferse geschlagen, darauf der rechte Fuß platt auf die Erde geschlagen, worauf sich sogleich der linke Fuß hebt und auch platt auf die ganze Sohle niederschlägt.“15
Fasst man diese Schrittkombination auftaktig auf – was durchaus nicht abwegig ist – findet sie sich ganz ähnlich beschrieben in Aenne Goldschmidts Standardwerk, hier volltaktig verstanden: “1 gestampfter Schritt vorwärts, links, … den rechten Fuß an den linken heranstellen, … aufhüpfen auf dem rechten Fuß“.16 Hüpfer, Gleitschritte und Fersenschläge – polnisch ‘holubiec’ genannt – machen jedenfalls im Wesentlichen die Schrittkombinationen aus, welche die Mazurka in ihrer Gesellschaftstanz-Zeit kennzeichnen. Und auch in den bekannten Volkstanzvarianten sind dies die charakteristischen Schritte, wobei der Fersenschlag hier zumeist durch Stampf-Schritte und Tupf-Tritte ersetzt wird. Bei den meisten Formen werden dabei die jeweils nicht belasteten Füße nach vorne oder hinten geschwungen, auch der Oberkörper ergänzt die Bewegung zur charakteristischen Gestalt.
Polka-Mazurka
Im Volkstanz wurde offenbar die Mazurka nie in ihrer ‘reinen’ Form, also nur aus aufeinanderfolgenden Mazurkaschritten bestehend, getanzt. Auch als Quadrille oder Cotillon scheint sie im Volk nicht getanzt worden zu sein. Weit verbreitet war stattdessen die viel einfachere Polka-Mazurka, die nach Meinung eines ‘Kenners’ allerdings nichts mehr mit dem eigentlich Mazur zu tun hat:
„Some people again confuse the Polka Mazurka with the Mazur, evidently not knowing that the Polka Mazurka – devised and introduced by the Polish Dancing Master, Markowski, in Paris in 1850 – though it had one or two Polish steps, was altogether a novelty dance, composed on the lines of those artificial dances which appear and die each season, though I must admit that the Polka Mazurka was quite a success in the ballroom, where it was danced for many years.“17
Neben dem erwähnten polnischen Tanzmeister Markowski geistert durch die Literatur als Erfinderin der Polka-Mazurka außerdem eine russische Großfürstin Maria Nikolaewna.
Die Polka-Mazurka besteht eben aus einem Wechsel zwischen Mazurka und Polkaschritten, wobei es sich um je einen, zwei oder drei Schritte handeln kann, also 1 Mazurkaschritt + 1 Polkaschritt oder 2 Mazurkaschritte + 2 Polkaschritte oder 3 Mazurkaschritte + 3 Polkaschritte. Der Polkaschritt, eigentlich ein Wechselschritt, verwischt sich öfter auch in drei gleichberechtigte Einzelschritte, was schlussendlich zu einer Verschleifung zum Ländler führt und die Weiterentwicklung zum Warschauer und zur Tyrolienne erklären könnte.
Warschauer oder Varsovienne

Der Warschauer oder Varsovienne errang etwa in den Jahren 1850-1870 große Beliebtheit18 als Gesellschaftstanz. Er wurde angeblich „durch polnische Damen in den höchsten Kreisen von Paris und von dort aus auch in Deutschland eingeführt.“19 Als Volkstanz bestimmen ihn drei Elemente, die in einer Tanzvariante nicht immer gemeinsam vorkommen müssen.
Zum einen sind dies „mit der Musik genau zusammenfallende(n) Haltepunkte(n) (‘Stillstand’)“,20 während derer tatsächlich keine Bewegung ausgeführt wird und die Melodie eine Pause oder einen langen Ton enthält.
Zweites Kennzeichen sind die „halben Umdrehungen, die er im Gegensatz zur Mazurka mit ihrer Ganzumdrehung aufweist.“21 Nach verschiedenen möglichen Figuren, die zumeist einen Mazurkaschritt enthalten, und der ersten Umdrehung werden in der Regel die gleichen Figuren nocheinmal gegen die Tanzrichtung gerichtet ausgeführt, worauf wieder eine halbe Drehung folgt.
Als drittes Charakteristikum des Warschauers kann statt einer gemeinsamen Drehung ein Seitenwechsel der Tänzerin an die andere Seite des Tänzers vorkommen, so dass die Figur dann in der Wiederholung zwar nicht gegen Tanzrichtung, aber doch seitenverkehrt getanzt werden muss.
„Es gibt offene und geschlossene Formen. Man kann ein-, zwei- und dreischrittige Warschauer voneinander unterscheiden, je nach Anzahl der Mazurka-Schritte, die in einer Warschauer-Figur hintereinander folgen.“22
Tyrolienne
In der Tyrolienne hat die Mazurka mit dem Ländler eine Verbindung eingegangen, die vor allem in den Alpenländern auftritt, wo eine stärkere Ländlertradition als anderswo vorhanden war. Neben Wickelfiguren finden sich vor allem Drehfiguren und Balancers. Die Tyrolienne-Melodien sind denn auch Ländler mit ruhig fließenden Dreiklangsbrechungen, wohingegen den Mazurkamelodien normalerweise neben vielen Punktierungen eigen ist, dass “der 2. Taktteil hervorgehoben wird und dass sie mit zwei betonten Vierteln enden.“23
Die Melodie zum folgenden Liedertext ist mir leider nicht bekannt, doch macht sie möglicherweise Lust darauf, diesen Tanz mit den vielen Gesichtern selbst zu probieren:
Die Mazurka lockt, sie fährt uns in die Glieder;
jeder Bursch´ springt auf und packt sein Lieb ums Mieder.
Tanzen wir, bis alleine weiter wirbeln Rock und Beine.
Unser Vorbild ist der Borislav Schiburka,
wie hat er getanzt als König die Mazurka!
Borislav war schön wie keiner, gut wie keiner, kühn wie keiner.
Borislav ist tot, er ward ins Grab gelegt schon,
die Mazurka weckt ihn auf, dass er sich regt schon.
Streichen werden alle Geigen, er wird aus dem Grabe steigen.
- S. 123-126 [↩]
- Download des Artikels als .pdf-Datei [↩]
- James A. Michener (1984): Mazurka. Roman. München [↩]
- Vgl. Heidi Schierer (1994): Die Geschichte der Mazurka als Gesellschafts- und Volkstanz im deutsch-sprachigen Raum und ihre Bedeutung in der fränkischen Volksmusik. Magisterarbeit, Bamberg // Roswitha Busch-Hofer (1993): Die Mazurka im Gesellschaftstanz und im Volkstanz. In: Volksmusik in Bayern, 10. Jg. München, H.1., S.1ff // Aenne Goldschmidt (1970). Handbuch des deutschen Volkstanzes. Systematische Darstellung der gebräuchlichsten deutschen Volkstänze. Textband. Berlin, S.198ff. [↩]
- Jan Steszewski (1994-1999), Art. Mazurka. In: MGG, 2. neubearb. Ausgabe. Sachteil 1994-1999, Bd. 5, Sp. 1699-1708, hier 1699 [↩]
- Goldschmidt a.a.O. [↩]
- Schierer a.a.O., S. 21 [↩]
- Hermann Fürst von Pückler (1827): Briefe eines Verstorbenen (Brief von London 7.6.1827). https://gutenberg.spiegel.de/buch/briefe-eines-verstorbenen-4338/25, letzter Aufruf 06.04.2025 [↩]
- Schierer a.a.O., S. 26 [↩]
- A. Lessourd (1828): Anecdotes d’un voyage en Russie, nach Schierer, a.a.O., S. 26 [↩]
- Jan Steszewski, a.a.O., hier Sp. 1700 [↩]
- Rudolph Voß (1869): Der Tanz und seine Geschichte: Eine kulturhistorisch-choreographische Studie. Mit einem Lexikon der Tänze, Berlin: Oswald Seehagen, nach Goldschmidt a.a.O., S. 201 [↩]
- Karl Horak (1974): Tiroler Volkstanzbuch, Innsbruck: Musikverlag Helbling [↩]
- Vgl. diverse Länder-Artikel in MGG, a.a.O. [↩]
- Franz Anton Roller (1843/1989): Systematisches Lehrbuch der bildenden Tanzkunst und körperlichen Ausbildung von der Geburt an bis zum vollendeten Wachsthume des Menschen. Reprint der Ausgabe Weimar 1843, hg. von Kurt Petermann, Documenta choreologica 19, Leipzig: Zentralantiquariat der DDR, S. 255ff. [↩]
- Goldschmidt, a.a.O., S. 199 [↩]
- Edward de Kurylo (1938): All about the Mazur. Teil 1. In: The Dancing Times, London, S. 290-292, hier S. 290 [↩]
- Goldschmidt, a.a.O. [↩]
- Karl Haselberger (1896): Die Tanzkunst, München: Hugendubel, S. 73. [↩]
- Goldschmidt, a.a.O., S.205 [↩]
- Goldschmidt, a.a.O., S.205 [↩]
- Goldschmidt, a.a.O., S.205, Hervorhebungen im Original [↩]
- Karl Horak (1988): Die Mazurka als Volkstanz in Tirol: Referat bei der Studioveranstaltung beim Bundesvolkstanzfest in Innsbruck, Pfingsten 1988, Manuskripte – Beispiele – Referate 30, Ohlstadt; Bruckmühl: Bezirk Oberbayern, S. 4. [↩]
24. Mai 2025 um 01:52
Danke Steffi,
ich bin selbst gerade auf der Suche nach Informationen zur Mazurka in ihren verschiedenen Ausprägungen im Volkstanz und Balfolk.
Liebe Grüße
Peter Th.